-Osterferien 2014-
Der anfängliche Schock sollte verfliegen, als nach dem ersten überstandenem Wochenende soetwas wie Akzeptanz und Alltag eintrag, doch nicht ohne diesen bitteren Geschmack des Unwissens auf meiner Zunge zurück zulassen. Die geregelten Strukturen waren es, die die Unterscheidung der Tage so schwer machte, doch dennoch zählte ich verbittert die Stunden bis Dienstag. Der Hoffnungsschimmer.
-Dienstag, der 22.04.2014-
Frau S. Und herr K. statteten mir am frühen Nachmittag den ersehnten Besuch ab und das Gespräch gab mir neuen Mut. Frau S. erzählte mir, dass zwei Freundinnen im Jugendamt angerufen und besorgt nach mir gefragt hatten. Sie durften ihnen keine Auskünfte geben, versicherten ihnen jedoch, das es mir gut ginge. Ich jedoch kann kaum beschreiben wie glücklich diese Nachricht mich gemacht hatte. Ich war nicht vergessen. Es waren Ferien, die zwei waren auf Urlaub, doch mein Fehlen war dennoch nicht an ihnen vorbei gegangen und sie hatten nach mir gesucht...
Zweiteres sollte mich noch weiter aufmuntern und das war die Aussicht der baldigen Entlassung aus der Schutzstelle, denn diese müsse frei gehalten werden und ich daher so schnell wie möglich untergebracht. so öffnete mir meine Anwesenheit dort den Platz in der Trainingswohngruppe, den ich ansonsten wohl gar nicht bekommen hätte~ Frau S. erklärte, dass die TWG für Jugendliche sei, die zwar wie ich bereits auf eigenen Beinem stehen konnten, aber -was sie für überaus wichtig empfand- nochimmer die Unterstützung der Gemeinschaft benötigen und dort bekommen. Ich sollte nicht mehr allein sein.
Zwei weitere Wochen würde ich noch ausharren müssen.
Auch meine Vertrauenslehrerin rief mich am selben Tag noch an, um sich nach mir zu erkundigen. Endlich wieder mit Menschen zu reden, die ich mochte, tat mir unglaublich gut.
Doch das viele Essen hingegen machte mich verrückt. In diesen zwei Wochen war es mit der ES so schlimm wie lange nicht mehr. Zu viel geschah um mich herum, dass sich nicht so einfach händeln ließ, ich nivht händeln konnte. Jedes Gespräch, jede Beobachtung, jeder Gedanke daran wie es wohl weiter geht, belastete mich. Und ich konnte mir nicht helfen, als obendrauf noch die banale doch unglaubliche Angst vor der Gewichtszunahme zu haben. Wie unsinnig es doch eigentlich ist. Hätte ich mich doch eher über die gute Versorgung freuen sollen, hätte meinem Körper endlich etwas gutes tun sollen. Stattdessen habe ich so viel erbrochen wie lang nicht mehr, obwohl ich normale Portionen aß...
Ich hatte es einfach nicht unter Kontrolle. Kein bisschen.
Es war schrecklich. Es war zu viel.
-Donnerstag, der 24.04.2014-
Als ich das Bad verließ, verstummten die Stimmen und man starrte mich erschrocken an. "Ist etwas?", fragte ich vorsichtig.
"Ach quatsch, der Vollidiot von J. dachte nur, dass du dir gerade den Finger in den Hals steckst, weil du so lange im Bad warst"
"Ja was denn?! Sie ist eben so dünn, dass ist voll krass und ich dachte, ich sei dünn aber im Vergleich bin ich voll fett.Das ist doch abartig"
"Boar J.! Sie kann doch nichts dafür, wenn sie die Krankheit hat!"
"Es war doch auch nicht böse gemeint"
-"Ich habe mich nicht erbrochen..." , warf ich kleinlaut in die Runde ein. Und diesmal war es sogar die Wahrheit gewesen.
-Freitag, der 25.04.2014-
Frau S. hat mich Mittags abgeholt. Zusammen fuhren wir nach AE, zu mir nach Hause, um noch ein paar persönliche Dinge zu holen, die für mich im Moment ganz wichtig sind.
Schon der erste Schritt ins Haus fiel mir unglaublich schwer und fast wäre ich umgekehrt und wieder herausgerannt. Die Atmosphäre war so seltsam, befremdlich, bedrückend.
Da stand sie vor mir, meine Mutter, nach einer Woche ohne Kontakt. Auch sie wusste nicht, wo ich war und - hatte mir nichts zu sagen. Ich war verunsichert.
"Wenn sie wollen können sie gerne die spätere Einrichtung für ihre Tochter besichtigen" - ..."Nein danke"
Noch belastender: in seinem verlassenem Zimmer zu stehen, in dem man seine Kindheit verbracht hatte, das voller Erinnerungen steckte, und unter den Augen von Frau S., meiner Mutter, die durch Frau S. gezwungen war anwesend zu sein und meiner Schwester S., die auch noch dazu kam-immerhin zeigte es, dass es zumindest ihr nicht vollig egal war- ,schnell noch die wichtigsten Dinge einzupacken. In der Tasche landeten meine Zeichensachen, Schulutensilien, Klamotten und Bücher.
Ich verabschiedete mich noch einmal von den geliebten Vögeln.
Welch unglazublich befreiendes Gefühl das Haus wieder zu verlassen und davon zu fahren.
Mein Magen zog sich zusammen. Nicht vor Hunger.
Vielleicht wollte ich einfach weinen. Aber mit Gefühlen konnte ich noch nie so wirklich.
Und noch nie hatte ich mich so sehr auf den Schulbeginn gefreut gehabt.